Wackelrente stösst auf Widerstand

Bund bremst bei Einführung variabler Zahlungen bei der SBB, PK wollen mehr Tempo

Es ist ein heisses Eisen: Letztes Jahr kündigte die Pensionskasse der SBB an, sie wolle sogenannte variable Renten einführen. Bei diesem Modell erhalten Neurentner eine Pension, von der rund 90 Prozent fix sind. Der Rest schwankt je nach Anlageerfolg der Pensionskasse. Geht es ihr gut, erhalten die Rentner mehr – sonst weniger.

Doch jetzt droht das angedachte Modell zum Spielball der Politik zu werden. Zwar sagt Markus Hübscher, Geschäftsführer der SBB-Pensionskasse: «Mit heutigem Kenntnisstand gehen wir davon aus, dass der Stiftungsrat noch in diesem Jahr einen Grundsatzentscheid fällen wird.» Sofern der Entscheid im Stiftungsrat gutgeheissen wird, würde das Modell per 1. Januar 2017 eingeführt werden. Wie aber verschiedene mit der Kasse vertraute Personen sagen, dürften die SBB dieses Thema auf die lange Bank schieben. Der Grund: das von Sozialminister Alain Berset (SP) lancierte Reformpaket Altersvorsorge 2020.

«Die SBB-Führung wird sich gut überlegen, ob sie den Bundesrat brüskieren will», sagt ein Insider. Denn ein Ja zur Einführung eines variablen Rentenmodells würde wohl das Ende von Bersets ambitioniertem Reformprojekt bedeuten, so der Tenor. Bersets umstrittenes Vorhaben umfasst unter anderem die Erhöhung des Rentenalters der Frauen von 64 auf 65 Jahre, die Senkung des Rentenumwandlungssatzes von heute 6,8 auf 6 Prozent sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozent zugunsten der AHV. Würden die SBB nun mitten in dieser Diskussion ihr Modell der variablen Rente einführen – Gegner nennen es die «Wackelrente» –, würde das politisch enorm Staub aufwirbeln. Und das will der Bund um jeden Preis vermeiden, wie sich auch an Aussagen von Jürg Brechbühl ablesen lässt, dem Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und Mitentwerfer der Berset-Reform. Grundsätzlich begrüsst er, dass sich die Pensionskassen über die langfristige Sicherstellung der Renten Gedanken machen. Aber: «Variable Renten untergraben das Vertrauen in die Vorsorge», kritisiert er. Und genau dieses Vertrauen brauchen Berset und Brechbühl, um die Reform letztlich beim Volk durchzubringen.

Dass ausgerechnet die Pensionskasse der SBB die Einführung eines variablen Rentenmodells prüft, sorgte für Wirbel unter Vertretern der beruflichen Vorsorge. Die Sammelstiftung ist mit einem Vermögen von rund 15 Milliarden Franken und 56 000 Versicherten eine der grössten Kassen der Schweiz.

In der Vergangenheit machte sie immer wieder wegen Unter­deckungen Schlagzeilen. Ende 2009 etwa belief sich diese auf rund 2,2 Milliarden Franken, was einem Deckungsgrad von 84,4 Prozent entsprach. Um die Kasse aus der Krise zu führen, mussten etwa die SBB-Angestellten seit 2010 2,5 Prozent ihres beitragspflichtigen Lohns an die Kasse entrichten. Der Bund eilte mit einem Beitrag von 1,148 Milliarden Franken zu Hilfe. Per Ende 2013 konnte der Deckungsgrad nun auf 101,8 Prozent gehoben werden – vor allem dank einer guten Anlagerendite. Laut den SBB ist die Pensionskasse «saniert, aber noch nicht sturmfest».

Vorerst zumindest werden die SBB-Mitarbeiter also nicht weiter belastet. Vielmehr soll die Einführung einer variablen Rente künftig für Entlastung sorgen. Geschäftsführer Hübscher betont, dass es nicht darum gehe, das Vertrauen zu schmälern – im Gegenteil. Viel eher wolle man es stärken: «Deshalb ist die nach­haltige finanzielle Stabilität der Vorsorge ja so wichtig», sagt er.

Pensionskassen hoffen, dass die SBB vorangehen

Die Gewerkschaften haben bereits Widerstand gegen das Vorhaben angekündigt. Doch damit dürften sie nicht nur auf die SBB- Pensionskasse zielen. Sollte diese nämlich tatsächlich ein variables Rentenmodell einführen, hätte dies in der gesamten Branche Signalwirkung. Noch wird das Modell zwar nur bei ganz wenigen Kassen praktiziert. Die Pensionskasse des Beratungs- und Revisionsunternehmens PWC arbeitet seit 2005 mit einem Modell der flexiblen Altersrenten. Per Anfang Jahr hat nun mit der Pensionskasse der Energiebranche erstmals eine grosse Branchenorganisation auf dieses System umgestellt.

In vielen Stiftungsräten wird das Thema aber schon länger heiss diskutiert, so beispielsweise bei jenen von Post und Swisscom oder bei der Bundeskasse Publica. Einzelne von ihnen sind zwar finanziell solider aufgestellt als die Pensionskasse der SBB. Doch auch sie sehen sich mit einer stark steigenden Zahl von Rentnern konfrontiert, womit die Auszahlungen immer stärker steigen (siehe Grafik). Neben der Alterung der Bevölkerung haben aber auch die niedrigen Zinsen und die hohen Umwandlungssätze bei den Kassen zur Folge, dass Erwerbstätige immer stärker die Pensionierten subventionieren müssen.

Bei Asip, dem Branchenverband der Pensionskassen, begrüsst man darum grundsätzlich die Diskussion über variable Renten. Präsident Christoph Ryter sagt: «Sie sind eine Möglichkeit, auch Rentner stärker zur Verantwortung zu ziehen und die Erwerbstätigen zu entlasten.» Die Einführung habe aber kurz- bis mittelfristig einen geringen Einfluss auf die finanzielle Lage einer Pensionskasse. Denn das Modell zielt lediglich auf Neurentner, zudem müssten die obligatorischen Mindestleistungen auch unter diesem Modell sichergestellt werden. «Deshalb wird es lange dauern, bis ein spürbarer Effekt erzielt wird», sagt er.

BSV-Direktor Jürg Brechbühl sagt zudem: «Für viele Pensionierte sind die Renten aus der 2. Säule ein wichtiger Vermögensbestandteil.» Es sei deshalb wichtig, dass sie planen könnten und genau wüssten, wie viel ihnen jeweils ausbezahlt würde. Sein Fazit: Anstatt flexibilisierte Renten mit unsicherer Höhe einzuführen, sollten sich Pensionskassen und Politik für bessere Parameter wie Rentenumwandlungssatz einsetzen. «Das führt zwar zu tieferen Renten, dafür sind sie aber sicher.»

Erschienen in 2014

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