«Überraschend cool»

Was geschieht, wenn ein eingefleischter VW-Tuner, der starke Motoren und röhrender Auspuff-Sound liebt, plötzlich einen e-Golf fährt? Hier der Testbericht.

Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein ganz normaler VW. Unter der Haube verbirgt sich aber nicht etwa ein Vierzylinder-Turbobenziner, sondern eine Lithium-Ionen-Batterie. Davide Mola beäugt den e-Golf kritisch. „Wenn meine Freunde wüssten, dass ich eine elektronisch angetriebenes Auto teste, müssten sie laut lachen“, sagt er.

Mola ist ein eingefleischter Tuner. Zu Hause hat der Winterthurer einen Golf 7 R in der Garage stehen. Mit einem maximalen Drehmoment von 380 Nm und ohne nennenswertes Turboloch reisst der Vierzylinder den R-Golf in 5,1 Sekunden von 0 auf 100. Und wie es sich für einen Tuner gehört, ist Mola’s Auto tiefergelegt, die Felgen verchromt und der Auspuff macht ordentlich Lärm. „Ein Auto muss Sound haben“, sagt der 30-jährige.

Vorsichtig drückt er aufs Gas

Der e-Golf hat weder einen Auspuff, noch macht er Lärm. Mola schaut verdutzt, als er den Zündschlüssel dreht und der Wagen kein Laut von sich gibt. Irritiert fragt er die PR-Frau von VW: „Läuft er schon?“ Sie versichert ihm, er könne losfahren. Vorsichtig drückt er aufs Gas.

Zusammen mit Freunden besucht Mola regelmässig Tuner-Treffen. Hier sammelt er neue Idee, wie er sein Golf 7 R noch weiter tunen kann. Ein anderes Auto als ein VW würde für ihn nie in Frage kommen. „Ich liebe diese Autos.“ Nur ein einziges Mal habe er ein Auto eines anderen Herstellers gefahren, um es dann schnell wieder gegen einen VW einzutauschen. Doch die Liebe zu den Wolfsburgern habe Grenzen: „Einen elektrisch betriebenen VW würde ich mir nicht kaufen“, sagt er. Ein Auto müsse „Pfupf“ haben.

In 9,6 Sekunden auf 100 km/h

Beim nächsten Rotlicht muss Mola halten. „Ein komisches Gefühl ein Auto zu fahren, das keine Geräusche macht“, sagt er. Umso überraschter ist der 30-jährige als bei Grün beschleunigt. „Unten raus zieht er aber schön.“ Auch bergauf freut sich Mola, dass der Wagen einem ordentlich in den Sitz drückt. „So macht Fahren Spass!“

Angetrieben wird der e-Golf seit dem jüngsten Facelifting von einem von 85 auf 100kW leistungsgesteigerten Elektromotor, der nun 290 statt wie bisher 270 Nm Drehmoment an den Start bringt. Damit soll der rein elektrisch angetriebene Golf in 9,6 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigen und eine elektronisch abgeregelte Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h erreichen.

Derart temperamentvoll zeigt sich der e-Golf aber nur im Normal-Modus. Wählbar sind daneben auch die Modi Eco und Eco-Plus. Vor allem bei der letzteren Einstellung vergeht Mola die Freude am Fahren. Der e-Golf erweist sich dann als ziemlich behäbig. „Ich drücke voll aufs Gas. Aber es tut sich nichts“, beklagt er.

Tachonadeln sehen verblüffend echt aus

Umso begeisterter zeigt sich Mola vom serienmässige Active Info Display. Das hochauflösende 9,2 Zoll Display ist im hellen wie auch dunklen perfekt ablesbar, die Bewegungen der virtuellen Tachonadeln sehen verblüffend echt aus. „Das ist genial“, sagt er.

Neu ist auch das serienmässige Infotainmentsystem, das per Gestensteuerung bedient werden kann. Gegen Aufpreis stehen zudem Assistenzsysteme, wie ein Stauassistent, die Fussgängererkennung mit Notbremsfunktion und der Emergency Assist zur Verfügung. Letzteres überwacht die Aktivität des Fahrers. Reagiert dieser längere Zeit nicht, warnt der Emergency Assist mit Warnblinken und leichten Lenkbewegungen Verkehrsteilnehmer und bremst das Fahrzeug sicher ab – bis zum Stillstand.

Ebenfalls „aufgemotzt“ wurde die Batterie des e-Golfs. Neu beträgt die Leistung 35,8 Kilowattstunden  – eine Steigerung von fast 50 Prozent. Entsprechend ändert sich die Reichweite, die VW nun mit 300 statt zuvor 190 Kilometern angibt. Natürlich weiss jeder, dass dieser Wert ein Laborergebnis unter bestimmten Bedingungen ist und die Realität anders aussieht: Je nach Fahrweise, Wetter und Einsatz der Heizung beziehungsweise der Klimaanlage liegt die Reichweite eher bei rund 200 Kilometern.

Alles in allem stimmt Mola die Testfahrt positiv. Sein Urteil: „Überraschend Cool.“ Besonders angetan haben es ihm die Beschleunigung und das Design. Auch wenn der e-Golf auf den ersten Blick wie ein normaler VW aussieht, erkennt man den leise, emissionsfreien e-Antrieb an den blauen Zierleisten in den serienmässigen LED-Scheinwerfern und am aufgeklebten Schriftzug e-Golf.

Apropos Aufkleber: Mola hat sämtliche Schriftzüge seiner VWs bei sich zu Hause aufgehängt. Wer weiss: Vielleicht schafft es einst auch ein e-Golf-Kleber an seine VW-Tuning-Wand.

Erschienen in 2017

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