Die Schwaben schlagen uns
Baden-Württemberg hat die geringere Erwerbslosenquote als die Schweiz
Das endlose Schreiben von Bewerbungen sei zum Verzweifeln, sagt Roman N.* «Entweder heisst es, ich sei zu alt oder überqualifiziert. Oftmals erhalte ich gar keine Antwort.» Der 38-jährige Zürcher arbeitete sechs Jahre für eine Bank. Wegen Sparmassnahmen wurde ihm vor wenigen Monaten gekündigt. Obwohl ein Grossteil der Banken derzeit Stellen streicht, will er in der Branche tätig bleiben. «Ich habe nichts anderes gelernt», sagt er.
Wie Roman N. geht es Tausenden in der Schweiz – deutlich mehr, als viele annehmen. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS): Während das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im dritten Quartal durchschnittlich 129 848 Arbeitslose registrierte, zählte das BFS 218 100 Erwerbslose.
Und während der Anteil der registrierten Arbeitslosen im Verhältnis zu den Beschäftigten im dritten Quartal laut Seco 3,0 Prozent betrug, wies das BFS eine Erwerbslosenquote von 4,7 Prozent aus. Das ist der dritthöchste Wert seit 1991. Selbst während der Wirtschaftskrise Mitte der 90er-Jahre betrug die Quote nie mehr als 4,4 Prozent. Höher lag sie lediglich im vierten Quartal 2009 (4,8 Prozent) und ersten Quartal 2010 (5,1 Prozent), als Folge der Finanzkrise.
Gemäss Seco gilt als arbeitslos, wer bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum eingeschrieben ist. Demgegenüber misst das BFS nach den Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO. Dabei gilt als erwerbslos, wer ohne Arbeit ist, in den letzten vier Wochen aktiv nach einer Stelle gesucht hat und zur Aufnahme einer Tätigkeit innerhalb von zwei Wochen verfügbar wäre.
Wirtschaft lobt die Schweizer Beschäftigungsquote
Eine Zunahme ist auch bei der Jugendarbeitslosigkeit festzustellen (15- bis 24-Jährige). Während das Seco für das dritte Quartal eine durchschnittliche Quote von 3,4 Prozent auswies, belief sich jene Quote vom BFS auf 10,4 Prozent. Damit erreichte die Jugendarbeitslosigkeit den höchsten Stand seit 1991 und lag gar höher als in Österreich (9,2 Prozent) und ganz Deutschland (8,8 Prozent).
Tendenziell werden im Sommer aufgrund der Schulabgänge mehr jugendliche Arbeitslose registriert. Aber auch die BFS-Quoten im zweiten Quartal weisen im Vergleich zu 2012 auf eine erhöhte Jugendarbeitslosigkeit hin.
Ungerührt von den gestiegenen Arbeitslosenzahlen loben Wirtschaftsführer weiterhin die Vollbeschäftigung in der Schweiz und verweisen auf die schlimme Lage im Ausland. Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), relativiert: Natürlich stehe man im Vergleich mit Spanien oder Portugal gut da. «Aber das deutsche Bundesland Baden-Württemberg hat uns vor längerem überholt, wie auch die jüngst ausgewiesene gesamte Erwerbslosenquote für September zeigt.» Demnach betrug diese in der Schweiz 4,8 Prozent, 0,8-Prozentpunkte höher als in Baden-Württemberg.
Für immer mehr Erwerbslose wird die Suche schwieriger
Laut Lampart werden vor allem in der Maschinenindustrie, im Gastgewerbe und im Finanzsektor Stellen abgebaut. So würden insbesondere die ersteren zwei Branchen nach wie vor unter dem starken Franken leiden.
Michael Siegenthaler von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) sagt, dass es für immer mehr Personen schwieriger sei, einen Job zu finden. Denn gleichzeitig mit der steigenden Erwerbslosenquote nehme auch die Beschäftigung in der Schweiz zu. Im dritten Quartal zählte das BFS 4,8 Millionen Erwerbstätige, 0,6 Prozent mehr als im Vorjahresquartal.
«Dies deutet darauf hin, dass immer mehr arbeitslos gewordene Personen aufgrund ihres Profils Mühe haben, einen neuen Job zu finden», sagt Siegenthaler. So verfüge beispielsweise ein Banker für eine Stelle im Gesundheitsbereich, wo noch Jobs geschaffen werden, nicht zwingend über die nötigen Qualifikationen und Fähigkeiten.
Erschienen in 2013