Mut zur Selbständigkeit
Für das Jahr 2014 wird mit einer Rekordzahl an Firmenneugründungen gerechnet – wir haben fünf Jungunternehmer besucht.
Die Schweiz erlebt einen Boom bei den Firmengründungen. Für das laufende Jahr rechnet die Wirtschaftsauskunft Creditreform mit einem Rekord von über 41 000 neuen Handelsregistereinträgen. Allein im ersten Halbjahr nahmen die Registrierungen im Vergleich zum Vorjahr um 4,6 Prozent auf 21 241 zu. Demgegenüber sinkt die Zahl der Konkurse leicht.
Warum viele die Selbstständigkeit suchen, zeigt eine Umfrage der Gründerplattform Startups.ch bei 290 Jungunternehmen 2013. Über die Hälfte gibt dabei an, ihre eigene Idee umsetzen zu wollen. Als zweithäufigsten Grund nennen die Befragten, ihr eigener Chef sein zu wollen. Die SonntagsZeitung hat fünf Start-up-Unternehmen aus den verschiedensten Branchen besucht. Eines haben sie alle gemeinsam: Trotz grösserer Verantwortung, finanziellen Risiken und manchmal unruhigen Nächten hat sie die Selbstständigkeit tatsächlich glücklicher gemacht.
Bioabi.ch – nach zwei Jahren bereits Gewinn
Biogemüse direkt ab Hof: Das wünschten sich drei Bernerinnen 2009 bei einem gemeinsamen Abendessen. Die Suche im Internet endete jedoch erfolglos, weshalb sie das Projekt gleich selbst in die Hand nahmen. 2010 starteten sie unter www.bioabi.ch einen Hauslieferdienst für die Stadt Bern und stiessen auf reges Interesse. Mit vorwiegend Mundpropaganda schrieb das Unternehmen bereits nach zwei Jahren Gewinn. Es zählt heute 130 Abonnenten.
Diese erhalten ab 960 Franken pro Jahr alle zwei Wochen eine Tasche mit Biogemüse und wahlweise Eier oder Käse von lokalen Bauernhöfen. Geliefert wird, was gerade Saison hat. «Das hilft den Bauern, ihre Saat zu planen und sichert sie gegen Wetterrisiken ab», sagen die beiden Gründerinnen Christina Grünewald (35) und Flavia Wasserfallen (35). Während im Sommer die Taschen mit Zucchetti, Tomaten, Salaten und Kräutern bunt gefüllt sind, gibt es im Winter mehrheitlich Lagergemüse wie Kohl, Kartoffeln usw.
Mit dem Wachstum der Firma kommen aber auch die Probleme. So muss eine neue Administrationssoftware her, um die Bestellungen, Rechnungen usw. effizienter bearbeiten zu können. «Die Kosten dafür sind aber enorm», sagt Wasserfallen. Die dritte Mitgründerin ist zudem ausgestiegen.
Gryps.ch – im zweiten Jahr stagnierte die Firma
Gaby Stäheli (45) und Priska Schoch (51) teilten sich einst eine Kaderstelle bei IBM und verdienten gut. Doch vor allem Stäheli hatte stets den Wunsch, selbstständig zu werden. «Nach jahrelangem Anstellungsverhältnis kam der Punkt, wo ich etwas Eigenes aufbauen und unabhängig sein wollte», sagt sie.
Das Konzept zum Offertenportal www.gryps.ch entdeckte sie in Amerika, wo es bereits gut etabliert ist. Mit der Idee gelangte sie 2009 an ihre frühere Arbeitskollegin Priska Schoch. «Wir begannen zügig, einen Businessplan zu schreiben», sagt Stäheli. Heute zählt der Onlinedienst 70 Produktkategorien – von Kopierern bis hin zu Werbefotografen – und richtet sich hauptsächlich an Unternehmen und Privatpersonen.
Beide Gründerinnen steckten sämtliche Freizeit und Energie in das Projekt. «Wir waren wie im Endorphinrausch», so Schoch. Im ersten Jahr nahmen die Aufträge laufend zu. Doch im zweiten Jahr begannen sie zu stagnieren. «Eine Plattform ins Internet zu stellen, ist, wie einen Flyer an einen Baum im Urwald zu kleben. Man muss auf sich aufmerksam machen», sagt Schoch. Deshalb investierten sie jeden Franken, den die Firma als Gewinn abwarf, ins Marketing und verzichteten über ein Jahr lang auf ihr Gehalt. Heute ist Gryps.ch das grösste Offertenportal im KMU- Bereich, und mittlerweile sind auch externe Investoren daran beteiligt.
The Rokker Company – kühle Lederjacken und -hosen
«Der klassische Harley-Davidson-Fahrer ist in Europa nicht der Rocker mit langen Haaren in Lederkluft», sagen Kai Glatt (36), und Michael Kuratli (40), Inhaber von The Rokker Company. Im Gegenteil: Die meisten von ihnen seien Banker, Anwälte, Manager oder Ärzte, die am Wochenende einfach mal «einen draufmachen» und frei von Verpflichtungen sein wollen. Dabei ist es aber nicht sehr angenehm, wenn die Lederhose die Körpertemperatur rasch auf gefühlte 50 Grad aufheizt, unbequem ist und unvorteilhaft aussieht.
Auf einer ihrer gemeinsamen Ausfahrten kam 2006 den beiden Harley-Fahrer Glatt und Kuratli schliesslich die Geschäftsidee: «Wir wollten eine Motorrad-Jeans entwickeln lassen, die vor Reibung bei einem Unfall schützt sowie wind- und wasserfest ist», sagt Glatt. Schon kurze Zeit später stand der erste Prototyp. Eine Hose kostet heute um die 500 Franken und unterscheidet sich kaum von einer normalen Jeans.
Vor der Firmengründung sass Glatt in der Geschäftsleitung des Instituts für Jungunternehmer in St. Gallen. Dabei habe er angehenden Firmeninhabern stets eingebläut, dass ein Start-up in der Praxis immer mehr koste als gedacht, die Anfangsphase länger dauere als geplant und es mehr Nerven brauche, als man habe. «Ich war mir sicher, bei uns läuft das anders. Aber genau so ist es gekommen», sagt Glatt und lacht. Um erfolgreich zu sein, müsse man mit ganzem Herzen an die Idee glauben. Bei The Rokker Company hat es sich gelohnt: Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen 14 Mitarbeiter und vertreibt ihre Schutzbekleidung in 30 Ländern.
La Zoupa – heute bereiten fünf Köche täglich Suppen
Gut, schnell, gesund – und das aus der Tiefkühltruhe. Das ist das Motto der Suppen- und Eintopfküche La Zoupa (Suppenkönig). Gut 100 000 Portionen konnte das Unternehmen im letzten Jahr verkaufen. Das Angebot reicht von Gemüse- (12.50 Franken) bis hin zu mediterranen Fischsuppen (25 Franken). «Die Konsumenten haben genug von Sandwichs über Mittag. Sie wollen etwas, das bekömmlich ist und trotzdem nährt», sagt Gründer Ivan Scotti, Jungunternehmer mit 68 Jahren.
Die Nachfrage gibt ihm recht. Fast 100 Detailhandelsgeschäfte in der ganzen Schweiz, darunter Globus-Delicatessa und Marinello, verkaufen La Zoupa aus dem Tiefkühler. Und immer mehr Cafeterias und Gastrobetriebe servieren seine Produkte, anstatt selber zu kochen. Heute beschäftigt Scotti fünf Köche, die die Suppen und Eintöpfe in 40-Liter-Pfannen zubereiten und schockgefrieren.
Dank der wachsenden Nachfrage sollen in diesem Jahr bis zu 180 000 Portionen verkauft werden. Das bleibt auch Investoren nicht verborgen. «Wir haben verschiedene Anfragen, auch aus dem Ausland.» Expandieren will der Inhaber in erster Linie in der Schweiz. Danach soll auch das Ausland ins Auge gefasst werden.
Hin & Weg – drei Jahre lang auf Ladenlokal gewartet
Für die Gründung der Hin & Weg Restauration AG, welche die beiden Salat- und Café/Bars Gare und Dépôt in Zürich betreibt, wurden Adrian Dubler (32), Marc Muggli (34) und Christoph Dubler (34), auch von Familie und Freunden finanziell unterstützt. Das verpflichtet: «Natürlich macht es uns manchmal nervös, dass unsere Bekannten mit ihrem Geld bei uns involviert sind. Wir freuen uns aber auch, dass sie an uns glauben», sagt Geschäftsführer Adrian Dubler.
Im Hin & Weg können Sandwichs und Salate selber zusammengestellt werden. Die Idee ist nicht neu, aber: «Wir verkaufen hochwertige und regionale Produkte und setzen auf Liebe zum Detail – dies unterscheidet uns von der Fast-Food-Kultur.» Die Zutaten, wie beispielsweise grillierte Auberginen und hausgemachte Café de Paris, werden in Zürich produziert. Am Morgen wird auch Kaffee und Gebäck angeboten. Abends stehen Apéritif-Getränke und Cocktails auf der Karte. «Der Spagat zwischen Bistro und Café/Bar ist uns gelungen», sagt Dubler.
Für ein Ladenlokal in der Europaallee am Zürcher Hauptbahnhof kämpften die drei Gründer über ein Jahr lang. «Wir mussten unser Konzept immer wieder präsentieren, bis wir endlich den Zuschlag erhielten», sagt Dubler. In der Zürcher Gastronomie sei es schwierig, als Neuling Fuss zu fassen. «In der Regel werden bekannte und etablierte Betreiber bevorzugt», kritisiert er. Umso dankbarer sei man den SBB, dass Hin & Weg schliesslich diese Chance erhalten habe.
Erschienen in 2014